Die Mondgöttin

Hallo Leute,

heute habe ich eine kleine Sci-Fi-Kurzgeschichte für euch. Ich habe darin eine Idee umgesetzt, die mir schon länger im Kopf herumspukt. Man kann sie vlt. noch etwas ausbauen, aber ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen.

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Leise knisterte das Lagerfeuer in der Mitte ihres Dorfes und briet ein Tamau zart und knusprig. Das ganze Dorf hatte sich um das Feuer versammelt – die Männer, die Frauen, die Kinder – alle waren hier, um den Geschichten der Alten zu lauschen.

„… bevor der Mensch das Feuer kannte, gab es Götter, die ihnen das Feuer brachten. Ein junges Mädchen wollte sich bei den Göttern bedanken. Also kletterte es mit einer Fackel den höchsten Baum hinauf. Doch es war nicht in der Lage, die Götter zu erreichen. Also kletterte es den höchsten Berg hinauf. Es kletterte und kletterte, bis es den Himmel erreichte. Das Kind kletterte in den Himmel. Und dort blieb es. Es ist noch immer mit seiner Fackel dort oben und leuchtet uns in der Nacht.“Hiana lächelte. Es war eine alte Geschichte, die die Dorfältesten schon oft erzählt hatten. Gemeinsam wanderte ihr Blick nach oben, wo die Mondgöttin als helle Scheibe über ihnen leuchtete. Kleine Lichtpunkte, wie Sterne, funkelten auf ihrer Oberfläche. Zwischen ihnen gab es feine Linien, wie Strahlen.

Hiana kannte die Mondgöttin nicht anders. Aber die Alten hatten erzählt, dass dies noch nicht lange so aussah. Ursprünglich war die Mondgöttin einfach nur eine helle Scheibe mit dunklen Schatten am Firmament. Sie erschien, wuchs zu einer Sichel, dann wurde sie so breit wie eine Haselnuss. Schließlich wuchs sie zu einer perfekten, runden Scheibe heran und stand mehrere Tage so am Himmel, bevor sie langsam wieder zu einer Haselnuss wurde, dann zurück zur Sichel. Und schließlich verschwand sie. Dieser Zyklus wiederholte sich – seit Generationen, seit Äonen. Doch dann hatte sie sich verändert. Einfach so fing die Mondgöttin an zu funkeln.

Niemand hatte von so etwas vorher schon einmal gehört. Keiner der Alten erinnerte sich an eine Geschichte, die von Funkeln auf der Mondgöttin erzählte. Alle hatten sich gefragt, warum die Mondgöttin das machte. Einige dachten, es wäre wirklich ein Stern auf sie gestürzt. Andere dachten, es seien die Funken, mit denen sie ihre Fackel neu entzündet. Wieder andere dachten, sie sei erkrankt. Niemand wusste es.

Die Alten hatten es als böses Omen gedeutet. Eine Prophezeiung eines Unheils, das über sie hereinbrechen würde. Sie sagten, der Wald würde verdorren, und ewiger Regen käme. Doch nichts war passiert. Die Mondgöttin funkelte nun in der Nacht, egal ob sie zu sehen war oder nicht. Einfach so.

Hiana hatte viel darüber nachgedacht. Sie hatte ihre eigene Theorie. Manchmal hörten sie von benachbarten Stämmen Geschichten über andere Menschen. Niemand wusste etwas über diese anderen Menschen. Man hörte nur Geschichten – Geschichten über Hütten aus Stein, groß wie Berge. Metallene Bestien, die sie wie Haustiere gezähmt hatten. Nie hatte jemand einen von ihnen gesehen. Aber diese Geschichten hatten Hiana zum Nachdenken gebracht. Wenn sie auf einer Lichtung zum Himmel blickte, konnte sie manchmal seltsame Vögel erkennen, die weiße Streifen am Himmel hinterließen. Niemand wusste, was das war und wieso diese Vögel das taten. Aber sie wussten, dass sie es erst seit einigen Generationen taten. Einmal war so ein seltsamer Vogel sogar auf sie herabgestürzt.

Viele Jahre, bevor der Vater ihres Vaters geboren wurde, erzählten die Leute Geschichten über seltsame Vögel, die sich am Himmel gegenseitig jagten. Sie krachten wie ein lodernder Stamm und jagten mit Feuer, das aus ihren Flügeln kam. Die Vögel, die Hiana heute sah, krachten nicht wie ein lodernder Stamm. Sie waren so lautlos wie ein Blatt, das zu Boden fiel. Aber vielleicht waren die weißen Streifen nichts anderes als der Rauch von dem Feuer in ihren Flügeln? Hiana wusste es nicht.

Eines Tages war einer dieser Vögel in ihren Wald gestürzt. Die Jäger ihres Stammes hatten ihn gefunden. Die Geschichte, die die Jäger erzählten, war seltsam. Der Vogel hatte keine Federn. Er war aus Metall, wie die Spitzen ihrer Pfeile. Er sah aus wie zwei dicke Baumstämme, die sich kreuzten. Aus einem ragten vorne zwei Blätter, der andere war seltsam flach. Unter einer Schüssel aus steinernem Wasser lag ein toter Mann. Ein Mann, der sehr seltsam aussah. Er hatte Haare im Gesicht, trug eine seltsame Mütze und war weiß. Es waren runde Löcher in dieser Schüssel, und Blut war an ihrer Innenseite.

Die Jäger waren ins Lager geflohen, und die Ältesten hatten verboten, sich dem Metallvogel zu nähern. Aber natürlich hielten sie sich nicht daran. Es war für die Jungen eine Mutprobe, einmal den Metallvogel anzufassen. Und so schlichen sie sich nachts davon. Hiana war den Jungen einmal nachgeschlichen und hatte den Vogel gesehen. Es war seltsam, und der Vogel war kalt. Von dem seltsamen Mann war nichts mehr zu sehen. Nur noch Knochen und ein Schädel, die unter dem steinernen Wasser in einem Sitz lagen.

Hiana hatte noch niemals zuvor etwas wie diesen Vogel gesehen. Sie konnte nicht aufhören, sich zu fragen, wer diesen Vogel erschaffen hatte.  

Dieses Erfahrung hatte Hiana zum Nachdenken gebracht. Sie sah nach oben und musterte die feinen Lichtpunkte. Was, wenn diese seltsamen Menschen so mächtig waren, dass sie sogar die Mondgöttin erreichen konnten?