Internet ist 2024 immer noch Neuland
Welch passenderes Thema kann es für eine Tirade geben als Internet in Deutschland. Ein zeitloser Klassiker, über den man sich schon vor 20 Jahren aufregen konnte und über den man sich garantiert auch noch in weiteren 20 Jahren aufregen kann.
Zum Thema: Anfang dieses Jahres war es Zeit für mich, in meine erste eigene Wohnung zu ziehen. Wohlwissend, dass es gerne mal dauern kann, bis die werten Internetanbieter es schaffen, einen Schalter umzulegen, habe ich mich frühzeitig um Angebote gekümmert. Laut Vermieter gebe es hier „alles“, also bin ich zu zwei großen Anbietern gegangen und hab mich nach Angeboten ungehört. So weit so gut, für einen Kabelanschluss entschieden, und so begann das Drama.
Techniker kam recht flott, misst den Anschluss, und „nix“. „Wie nix?“, frage ich. „Kein Signal, kommt nix“. Tief durchgeatmet. Nochmal draußen an der Anschlussbox geschaut. „Nix, kein Signal, tot“. Dann hat der gute Herr mir auch noch erzählt, dass an der Adresse wohl schon zweimal ein Kabelanschluss gemacht werden sollte, aber storniert wurde, weil „kein Signal“. Techniker ist unverrichteter Dinge abgereist, Vertrag wurde storniert. Klasse. Als ich den Vermieter auf den toten Anschluss aufmerksam machte, sagte er mir nur, dass der schon lange tot ist. Klasse.
Nochmal tief durchgeatmet, Kabelrouter zurückgeschickt, und wieder in den Laden. Gibt ja noch DSL (bevor ihr fragt, Glasfaser liegt nicht, obwohl der Vermieter überzeugt war, dass Glasfaser liegt). Neuen Vertrag abgeschlossen, kann sogar noch den alten Router von zu Hause weiterverwenden. Eine Woche gewartet. Nix. Zwei Wochen gewartet. Nix. Drei Wochen gewartet. Nix. Ich bin ja sehr geduldig, das lernt man, wenn man mit Dorfinternet aufwächst. Aber inzwischen hat es selbst für Internetanbieter-Verhältnisse ganz schön lang gedauert. Supporthotline angerufen, eine Stunde für nix verschenkt. Tief durchgeatmet. Im Shop angerufen. Ca. zehn Mal, bis jemand ranging. „Oh ja, an der Adresse ist kein freier Anschluss. Kann sein, dass da noch ein Vertrag läuft und man den jetzt manuell abschalten muss.“ UND IHR HABT BIS JETZT GEBRAUCHT UM MIR DAS ZU SAGEN? Der Geduldsfaden ist inzwischen stark strapaziert. „Geben Sie mal die Nummer durch die auf der Telefondose steht, dann können wir das machen“. Auf der Telefondose steht keine Nummer. Der Herr wollte sich nochmal melden.
Am nächsten Tag war ich im Zoo. Bisschen Psychohygiene und so. Dann kam per Telefon die nächste Hiobsbotschaft: „Ja, schlechte Nachrichten, an der Adresse gibt es DSL maximal mit 16 Mbit, gibt keine freien Ports mehr die schneller können.“ SIND WIR IN DER STEINZEIT GELANDET? ICH WOHNE IN EINER GROẞSTADT MIT UNIVERSITÄT UND DIE KRIEGEN ES NICHT HIN ZEITGEMÄẞE INTERNETGESCHWINDIGKEITEN ZU LIEFERN? UND IHR HABT ÜBER DREI WOCHEN GEBRAUCHT UM DAS RAUSZUFINDEN? WAS MACHT IHR EIGENTLICH DEN GANZEN TAG LANG? Tief durchatmen. Zum Glück konnte ich eine paar Tiere zur Beruhigung streicheln. Aber der nette Herr aus dem Shop hat auch noch eine tolle Alternative: Einen 5G-Router! Mit 100 Mbit im Download! Meine Wahl lag jetzt also zwischen Retro-DSL und 4G/5G. Da der Mobilfunk-Router sofort verfügbar wäre, habe ich mich für den entschieden. Und sogar am nächsten Tag war das Gerät da und einsatzbereit!
13,77 Mbit/s. Das war die Downloadgeschwindigkeit, die ich im Mittel bekommen habe. Bei beworbenen 100 Mbit/s. Und es lag nicht an der Position des Routers – der Empfang war Top und mitten in der Nacht habe ich sogar mal 100 Mbit bekommen (also zumindest bei den einschlägigen Speedtest-Websites, wo extra die volle Bandbreite geliefert wird, aber das ist ein Thema für eine andere Tirade). Mit Paketverlust, Latenz und Jitter müssen wir gar nicht erst anfangen. Wohlwissend, dass man über die Breitbandmessung der Bundesnetzagentur nur bei klassischen Festnetzanschlüssen den Preis mindern kann bzw. außerordentlich kündigen kann, habe ich dennoch ein Messprotokoll gemacht und an den Anbieter geschickt. Nichtssagende Standardantwort kam zurück, Störung wird geprüft, danke für nichts. Zwei Tage später die Nachricht (Überraschung!), dass keine Störung gefunden werden konnte. DANKE FÜR NICHTS! Also an die Bundesnetzagentur geschrieben, was meine Optionen in diesem Fall überhaupt sind. Zwei Wochen gewartet. Standardantwort kam zurück: „sIE köNnEn Ja DiE sTörunG DeM NetZanBIeTeR MEldEn UND eINE messkamPaGne DuRCHfÜhrEn“ JA LEUTE HABT IHR ÜBERHAUPT NUR EIN WORT GELESEN WAS ICH EUCH GESCHRIEBEN HABE? ICH HAB BEIDES SCHON GEMACHT UND WILL WISSEN WAS ICH STATTDESSEN BEI EINEM MOBILFUNKVERTRAG MACHEN KANN. Tief durchatmen. Nochmal hingeschrieben und freundlich auf meine eigentliche Frage hingewiesen. WIDER DIE GLEICHE SCHEIẞ STANDARDANTWORT AUS DER TÜTE. Tief durchgeatmet und überlegt was man nun tun kann.
Mein nächster Schritt wäre die Verbraucherzentrale gewesen, aber dann geschah ein kleines Wunder (aber wirklich nur ein kleines, könnt sitzen bleiben): Der Support des Anbieters hat sich bei mir gemeldet. Und mir angeboten, entweder den Vertrag sofort zu kündigen, oder vorerst drei Monate abzuwarten, extra Rabatt oben drauf und dann kann man immer noch kündigen. So viel Entgegenkommen hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Da ich aus dem Gespräch der (tatsächlich sehr freundlichen) Supportmitarbeiterin eine Urangst vor Ärger mit der Bundesnetzagentur heraushören konnte, vermutete ich, dass da ein Zusammenhang bestand. Wie auch immer, ich brauche erstmal Internet, also habe ich den Vertrag fürs erste behalten Funktioniert ja soweit für das meiste, nur eben nicht so gut wie beworben. Drei Monate sollten ja genug sein, um nochmal alle Optionen auf den Tisch zu bekommen.
Heute bin ich also in einen Shop eines anderen Anbieters. Des Anbieters, dem auch die Kupferkabel im Boden gehören, in der Hoffnung, dass man bei denen eher schnelles Internet bekommt. Denkste. Nicht mal die hätten für eigene Kunden noch Kapazitäten. „Da gibt es halt nur 100 Anschlüsse und die sind alle belegt. Und eine Warteliste oder so gibt es auch nicht. Da muss man dann halt Glück haben“. ES IST SCHON SCHLIMM GENUG, DASS DIESES LAND ES SEIT ÜBER VIERZIG JAHREN NIHT GESCHISSEN BEKOMMT, DAS GLASFASERNETZ AUFZUBAUEN, ABER NICHTMAL MIT DEN BESCHISSENEN KUPFERKABELN VERNÜNFTIGE GESCHWINDIGKEITEN FLÄCHENDECKEN LIEFERN ZU KÖNNEN IST DIE ART VON INKOMPETENZ, WEGEN DER ICH BEI MIR AUF DER ARBEIT RAUSFLIEGEN WÜRDE!
Tief durchatmen. Jetzt sitze ich hier und überlege, was ich noch für Optionen habe. Kabel? ist nicht. Glasfaser? ist nicht. DSL? Mit spektakulären 16 Mbit. Mobilfunk? geht zwar, aber zu langsam und instabil. Starlink? Dann lieber gar kein Internet als Elon Geld in den Arsch zu schieben.
Das Internet ist auch Anno 2024 für uns alle Neuland.