Promotion nach 11 Jahren abbrechen. Richtige Entscheidung?
Ich schaffe es einfach nicht, meine Diss seit ewig "fertig zu schreiben" und will mich nur davon befreien. Was meint ihr?
Anbei eine etwas biographische Erzählung als Kontext. Die Diss (Sozialwissenschaften, ziemlich irrelevantes Thema) habe ich 2013 angefangen, ohne wirklich Ahnung vom Thema zu haben (Nebenfach). Damals hat es keinem gejuckt, da die Diss unbezahlt war. 1,5 Jahren nach dem Anfang erhielt ich ein 2-jähriges Stipendium. Das habe ich genutzt um meine Empirie zu machen (Interviews , Beobachtung), welche ich aber leider auch ziemlich random durchgeführt habe. Betreuung war nicht wirklich da und ich habe das Problem damals überhaupt nicht erkannt. Ergebnis: empirische Material sehr oberflächlich. Das ist das, was ich am meistens bereue.
Dann kam eine schwierige Phase: Trennung von der Mutter meiner Tochter, ganz wenig Geld (musste aus dem Stipendium Unterhalt zahlen), dann lief das Stipendium aus.
2017 fange ich an, an einer anderen Uni als Dozent zu arbeiten. Ich kriege ab und zu Druck vom neuen Chef und mache sehr sehr langsam und weiterhin unsystematisch an der Diss weiter. Neue Begriffe kommen hinzu, theorieteil wird komplixierter, eigentliche Probleme (Forschung hat eigentlich keinen Anlass und Empirie stinkt) werden nicht angegangen. Es bleibt also die Frage offen: Was lernt man eigentlich daraus? Ehrlich gesagt: nichts.
2023 kündige dann meine Stelle und somit meine Uni-karriere, um mich der Diss "endlich" zu widmen. Nehme Kontakt Allerdings geht es nicht wirklich weiter. Ich kann nicht mal eine kurze Einführung schreiben. Es fühlt sich weiterhin als ob würde ich nur ganz kompliziert bullshitten. Warum ist meine Forschung wichtig? Was lernt man daraus?
Übrigens: Was ist mir überhaupt wert? Ich will eh raus aus der "Wissenschaft" und mache Vorstellungsgespräche in anderen Branchen, wo ein Dr. irrelevant ist.
Ich möchte also einfach zugeben, dass es ein Fehler war und dass ich nicht den Mut bzw. die mentale Klarheit gehabt habe, dies mir und anderen zuzugeben.
Was mich zurückhält: - Ich fühle mich schlecht, dass ich ein Stipendium bekommen habe, von dem andere forscherinnen hätten profitieren können. Ich weiß nicht, ob ich das zurückgeben muss - würde ich aber akzeptieren. - auch habe ich schuldgefühle ggü meinen beiden Betreuern. - (weniger wichtig) ist natürlich schade, habe aber im letzten Jahrzehnt auch vieles gelernt, sogar durch die verdammte Diss.
Ist der Abbruch die richtige Entscheidung?
Edit: Vielen, vielen Dank für eure anregende Antworten, Fragen und Provokationen! Aus dem Austausch habe ich was verstanden: 1 das zentrale Problem ist ein Emotionelles: ich kann meine Diss nicht mehr leiden. 2 die vielen rationellen (oder rationell formulierten) Gründe sind sehr stark mit 1 verwickelt. 3 meine Abneigung ggü der Fertigstellung der Diss (auch in meinen Antworten an Personen, die vom Abbruch abraten) zeigt einzig dass ich die Promotion innerlich irgendwie schon abgeschlossen habe. Man denkt dass man es besser als "die anderen" kann, aber wahrscheinlich wollte ich mit diesem Post auch nur Bestätigung.
"academics want what everybody else wants: acceptance, with minor revisions" :)